Interview mit Prof. Martin Krenn, PhD zum intergenerationellen künstlerischen Forschungsprojekt „The Arts of Resistance“
Herr Prof. Krenn, unter dem Titel „The Arts of Resistance“ 2024-2026 (TAoR) sind Sie für die HBK Braunschweig und gemeinsam mit drei weiteren Projektpartnern an dem intergenerationellen künstlerischen Forschungsprojekt beteiligt. An der Schnittstelle von künstlerischer Forschung, Jugendarbeit sowie politischer und kultureller Bildung beschäftigt das interdisziplinäre Langzeitprojekt junge Menschen mit der Erforschung des Widerstands gegen den (europäischen) Faschismus. Mit beteiligt sind die Universität für angewandte Kunst Wien/Österreich, das Museum of Contemporary Art Zagreb/Kroatien und das österreichische Künstlerduo Ruth Anderwald + Leonhard Grond (Association HASENHERZ) / Wien.
„Drei Fragen“ an Prof. Martin Krenn:
Das Projekt soll eine neue Perspektive auf die Verbindung von Kultur und Politik eröffnen, basierend auf der Hypothese, dass ein Lernen aus der Geschichte für die Gegenwart nur durch eigenständige Forschung, kritische Analyse und kreative Anwendung möglich ist. Können Sie uns den Hintergrund dieser Herangehensweise näher erläutern?
Künstlerische Praxen, Kunstwerke und kulturelle Güter werden als mögliche Mittel des Widerstandes begriffen. Das Projekt TAoR soll ein möglichst umfassendes Verständnis für die verschiedenen Facetten des Faschismus in Europa entwickeln und offenlegen, welche künstlerischen Ansätze zur Bekämpfung aktueller faschistischer Tendenzen genutzt und weiterentwickelt werden. Es möchte das Bewusstsein aller Teilnehmenden für Faschismus in seinen unterschiedlichen Ausformungen erweitern und kreative Handlungsmöglichkeiten gegen Faschismus entwickeln. Die Initiierung eines solchen Prozesses basiert auf der Auffassung, dass die politische, künstlerische und kulturelle Bildung eine zentrale Aufgabe sein müsste.
Dazu werden sich in 2025 Jugendliche des MSU Youth Club mit den Kunstwerken des Museum of Contemporary Art Zagreb auseinandersetzen. Schüler*innen aus Braunschweig erarbeiteten gemeinsam mit Studierenden der HBK Braunschweig eine modulare Skulptur, welche 2024 und 2025 an unterschiedlichen Standorten zu sehen ist. Außerdem wurde im Sommer 2024 in Wien eine „Exchange Week“ von Ruth Anderwald und Leonhard Grond konzipiert, an welcher internationale Künstler*innen, Aktivist*innen, Studierende und Jugendliche teilnahmen.
Die Lernprozesse, die in den unterschiedlichen Formaten in verschiedenen Ländern erprobt werden, eint die Überzeugung, dass das Lernen aus der Geschichte für die Gegenwart mit Neugier, gründlicher Recherche, kritischer Analyse und kreativer Praxis verbunden sein sollte.
Welche Zielsetzung verfolgt das Projekt, welchen Input können Studierende daraus ziehen und wie wirken sich die Untersuchungen auf die Einordnung der historischen Werke auf die Gegenwart aus?
Unser Part an der HBK Braunschweig ist es, im Rahmen des EU-Projekts ein Antifaschismusprojekt in Braunschweig in Zusammenarbeit mit Schulen zu realisieren.
Dafür konnten vier Braunschweiger Schulen gewonnen werden - die Wilhelm Bracke Gesamtschule, die IGS Querum, das Gymnasium Neue Oberschule und die Realschule Georg-Eckert. Die Zusammenarbeit erfolgte in Kooperation mit „Demokratie leben!“ Braunschweig und Anna-Sophie Schröder von der VHS Braunschweig.
HBK-Studierende der Zusatzqualifikation Kunstvermittlung* hielten an den Schulen im Sommersemester 2024 jeweils zwei 90-minütige Workshops ab. In diesem Rahmen entstanden Motive für eine modulare „Antifaschismus-Skulptur“.
*Zusatzqualifikation Kunstvermittlung wird als eigenständige künstlerische Praxis verstanden, welche sich von der beschreibenden Vermittlung von Kunst abhebt. Jenseits von traditionellen Handlungsfeldern von Künstler*innen erwerben die Studierenden dieses Lehrgangs über sieben Semester hinweg Kompetenzen im Bereich unterschiedlicher Vermittlungsfelder in Kunst-, Bildungs- und Kulturinstitutionen.
Im ersten Workshop bauten die HBK-Studierenden drei Stationen im Schulklassenraum zu den Themen Braunschweig während der NS-Zeit, Kunst gegen Faschismus und Braunschweig heute auf.
An diesen Stationen, wo einige Fotos von ehemaligen Braunschweiger NS-Orten, Social Media Posts stadtbekannter Neo-Nazis und antifaschistischer Kunst der klassischen Avantgarde vorlagen, diskutierten die Studierenden mit den Schüler*innen über den heutigen Stand der Demokratie und die Situation in Braunschweig.
Die Ergebnisse dieses Workshops wurden zusammengefasst und bildeten den Ausgangspunkt für den zweiten Workshop.
Im zweiten Workshop zeichneten die Schüler*innen die Motive für die „Antifaschismus-Skulptur“. Die HBK-Studierenden standen dabei als angehende Künstler*innen unterstützend zur Seite. Die Konstruktion der Skulptur wurde mit Unterstützung von RAHM Architekten Wien erstellt. Gezeigt wurde und wird die Skulptur in der IGS Querum, in der Wilhelm Bracke Gesamtschule und in der Volkshochschule Braunschweig, sowie in der Abschlussausstellung von TAoR im Mai 2025 im Museum of Contemporary Art Zagreb.
Wie werden die internationalen Austauschtreffen mit Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Kunstinstitutionen und NGOs organisiert und wie werden die jugendlichen Teilnehmer*innen in den künstlerischen Forschungsprozessen zusammen arbeiten?
Das achttägige internationale Austauschtreffen Ende August 2024 in Wien wurde von Ruth Anderwald und Leonard Grond für das Zentrum Fokus Forschen (ZFF) der Universität für angewandte Kunst Wien konzipiert. Zum ersten Mal konnten sich alle an TAoR beteiligten Institutionen gemeinsam treffen und austauschen.
Geplant waren vielfältige Aktivitäten wie beispielsweise der Besuch der Ausstellung „Protest/Architektur Barrikaden“ im MAK - Museum für Angewandte Kunst Wien, gefolgt von einem gemeinsamen Abendessen mit selbstgekochten Gerichten im Garten des ZFF.
Spannend war auch der Eröffnungsworkshop von Jo O’Brien zu Themen wie Aktivismus und politisches Engagement in einem entspannten Setting. Eine Exkursion zum Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstandes (DÖW) ermöglichte es Einblicke in die spezifische Geschichte Österreichs zu bekommen.
Ebenso hatten die HBK-Studierenden Gelegenheit unser Projekt mit Braunschweiger Schulen vorzustellen. Ein Screening meines Films „Notes on Resistance“ aus dem Jahr 2006, bot Einblicke in die Aktivitäten der österreichischen Kämpfer während des Spanischen Bürgerkriegs in Spanien und der österreichischen Widerstandskämpfer in Frankreich gegen das Nazi-Regime.
Hinzu kamen noch Aktivitäten des MSU Zagreb Youth Club, der einen Workshop veranstaltete. Ein geführter Walk durch das Viertel des 2. Wiener Gemeindebezirks machte auf die geografische Umgebung rund um das ZFF und die Geschichte dieses Bezirks aufmerksam. Dieser war von antisemitischen Verbrechen gegen die dort einst in großer Zahl lebenden Juden geprägt. Auch ein Konzert des Singer Songwriters Robert Rotifer bereicherte das Treffen mit einer Hommage an seine verstorbene Großmutter und Widerstandskämpferin Irma Schwager. Ich hatte das Glück Irma Schwager vor über 20 Jahren kennenzulernen und sie damals für meinen Film „Notes on Resistance“ interviewen zu dürfen.
Besonders hervorzuheben ist auch das Panel „Kunstpädagogik in Zeiten des Krieges“ am ZFF. Es war beeindruckend zu hören, wie sich insbesondere der Präsident der „Bezalel Academy of Arts and Design“, der extra aus Jerusalem für diesen Anlass nach Wien angereist war, mit der aktuellen Kriegssituation in Israel auseinandersetzt. Als Ergebnis des Vermittlungsprozesses zwischen Studierenden und Lehrenden mit jüdischen und palästinensischen Hintergründen wurden dort Richtlinien für „freie Meinungsäußerung und kreative Freiheit in Kriegszeiten“ von Lehrenden und Studierenden entwickelt.
Der intensive Austausch mit Aktivist*innen und Kunstschaffenden sowie auch unser Projekt mit Kindern und Jugendlichen aus Schulen in Braunschweig haben mich darin bestärkt, dass es notwendig und sinnvoll ist, sich mit künstlerischen Mitteln den antidemokratischen und faschistischen Entwicklungen in Europa entgegenzustellen.
Das Interview führte Brigitte Kosch, Pressestelle der HBK Braunschweig