Künstlerisches Entwicklungsprojekt der Dorothea-Erxleben-Stipendiatin Yeongbin Lee

Drei Dorothea-Erxleben-Stipendiatinnen konnte die HBK Braunschweig zum Wintersemester 2023/24 begrüßen. Ziel des 2-jährigen Stipendiums der künstlerischen Nachwuchsförderung ist die Qualifizierung von Künstlerinnen für eine Professur. Das während des Stipendiums zu entwickelnde Lehrangebot richtet sich dabei an HBK-Studierende. Neben Anna Witt und Maika Knoblich erhielt auch Yeongbin Lee das Stipendium. 

Mit Yeongbin Lee haben wir gesprochen. In einem Interview gibt sie Einblicke in ihre künstlerische Arbeit und beschreibt, was sie mit ihren Student*innen plant.

„Drei Fragen“ an Yeongbin Lee:

Sie wurden zum Wintersemester als Stipendiatin des Dorothea-Erxleben-Programms mit dem Schwerpunkt Zeichnen begrüßt. In Ihren Arbeiten beschäftigen Sie sich mit einzigartigen Verbindungen zwischen alltäglichen Klängen und einer individuellen Zeichensprache.

Wie wird sich Ihr eigener Themenschwerpunkt voraussichtlich auf die Arbeit mit Ihren Studierenden auswirken?

Mein Themenschwerpunkt als „Geräuschsammlerin“ wird sich auf vielfältige Weise auf die Arbeit mit meinen Studierenden auswirken. Indem ich Geräusche sammle, zerlege, analysiere und neu zusammensetze, erforsche ich hörbare Bewegungen und entwickle Visualisierungen von Klängen. Diese Herangehensweise wird die Studierenden dazu anregen, eine tiefere Wahrnehmung und ein erweitertes Verständnis für ihre Umgebung zu entwickeln. Zuhören ist wie Beobachten. Ich hoffe, dass die Studierenden die Bedeutung des Zuhörens erkennen und auf diesem Weg ihre eigene, einzigartige Form der Kommunikation entwickeln.

An welchen herausragenden Projekten haben Sie bisher gearbeitet und gibt es Ideen oder Vorhaben für künftige Projekte?

Ich arbeite auf drei verschiedene Arten: In Einzelarbeit, in Zusammenarbeit mit Schriftsteller*innen und in Gruppenarbeit.

Ein Beispiel einer Einzelarbeit ist das Projekt „Berlin U-Bahnhof Friedrichstraße U6, zweite Treppe". 

Nach meinem Abschluss zog ich nach Berlin und verbrachte eine Zeit damit, die Stadt kennenzulernen und interessante Geräusche zu suchen. Einen Monat lang sammelte ich Geräusche von einer kleinen Treppe, während ich auf die U-Bahn wartete, und visualisierte sie in einer ersten Zusammenarbeit mit Musiker*innen. 

Ich habe kontinuierlich weiter mit Schriftsteller*innen zusammengearbeitet.
Daraus entstand die Idee mit der Dichterin und Übersetzerin Franziska Füchsl „Was wäre, wenn Pinocchio keine Ohren hätte und keine Geräusche hören könnte?“. Drei Jahre lang haben wir am Originaltext von Pinocchio gearbeitet und schließlich das Theaterstück „Collodi’s Schit“ geschrieben. Dieses experimentelle Projekt, das Theater, Tanz und Musik kombiniert, werde ich im nächsten Jahr beim Herbstfestival in Graz erstmals präsentieren. 

Mit dem Schriftsteller Clemens Böckmann arbeite ich an einem Projekt zur Erforschung der Dunkelheit zusammen. Ende September werde ich auf meine Forschungsreise nach Italien aufbrechen, um von Olevano nach Rom zu reisen und sieben Tage lang die Geräusche der Nacht zu sammeln. Die Eindrücke werden wir in ein Hörspiel übertragen. 

Zum Thema Gruppenarbeit möchte ich auch ein Projekt vorstellen: Während meines Studiums habe ich zusammen mit Jihae An und Jakob Grebert, die Künstlergruppe „hada – Werkstatt für Gemeinwohl“ gegründet, die sich mit der Frage beschäftigt, wie Kunst zum gemeinsamen Handeln beitragen kann. Im Ergebnis haben wir uns auf öffentliche Kunstprojekte konzentriert, die Umwelt- und Sozialthemen behandeln.
Im Oktober wird nun unser 30 m langes Wandgemälde aus Fliesen in Kiel am Germania-Hafen enthüllt. Dieses Projekt, das 2022 begann, beschäftigt sich mit Wasser und Umweltveränderungen und wurde in Zusammenarbeit mit fünf Schulklassen durchgeführt. Es bietet den Schüler*innen die Möglichkeit, aktiv den öffentlichen Raum mitzugestalten und stellt besonders für junge Menschen eine bedeutende Erfahrung in Selbstwirksamkeit und Teilhabe dar. Die Einweihung findet am 18.10.2024 statt.
Diese Fragestellung möchten wir auch in Braunschweig aufgreifen.

Aktuell sind Sie dabei ein künstlerisches Entwicklungsprojekt mit Ihren Studierenden über drei Semester zum Thema „Auto“ voranzutreiben. Können Sie uns etwas mehr zu diesem Projekt erzählen?

Als ich zum ersten Mal in Braunschweig ankam, erschien es mir, als wäre die Stadt nur für Autos gemacht und ich fragte mich, warum das so ist.

In meiner künstlerischen Arbeit suche ich nach interessanten Geräuschen im Alltag und in Braunschweig bot das Auto das faszinierende Thema. Das Auto ist sowohl visuell als auch akustisch eine großartige Inspirationsquelle und ein spannendes Forschungsobjekt. Glücklicherweise erhielt ich von der Werkstatt Damke Isensee ein Auto als Geschenk. Auf dieser Grundlage habe ich mit den Studierenden ein dreisemestriges Projekt begonnen, um dieses Thema intensiv zu erforschen.

Im Sommersemester haben wir das Auto gemeinsam zerlegt. Das Ziel war nicht nur die Zerlegung selbst, sondern das Auto durch verschiedene Sinne zu verstehen und den Prozess zu genießen. Im Wintersemester planen wir, die zerlegten Teile wieder zusammenzusetzen. Dabei kann die ursprüngliche Form und Funktion des Autos verschwinden und etwas Neues entstehen. Die Autoteile werden dann nicht nur Materialien sein, sondern Geschichten, Bedeutungen und Symbole in sich tragen. 
Im Sommersemester 2025 soll dann dieses zerlegte Auto in Form eines Dorfes ausgestellt werden.

Neben diesem Projekt plane ich zwei weitere zum Thema Auto. Das erste Projekt besteht darin, mit den Studierenden die Geräusche der Autoteile visuell darzustellen und eine grafische Partitur zu komponieren – „Ein Requiem für Dieselfahrzeuge“. Außerdem wollen wir aus Autoteilen Musikinstrumente bauen und diese spielen. Dies steht im Einklang mit meiner eigenen Arbeitsweise und wird den Studierenden sicherlich neue Impulse geben. Das zweite Projekt ist eine Wandmalerei zum Thema Auto, die ich gemeinsam mit Braunschweiger Schüler*innen gestalten werde. Auf diese Weise möchte ich nicht nur den Studierenden, sondern auch den Braunschweiger Bürger*innen die Frage nach der Rolle des Autos stellen.

Anfangs habe ich das Auto nur als Verursacher von Umweltverschmutzung gesehen, etwas, das verschwinden sollte. Aber je tiefer ich in das Thema eintauchte, desto mehr Geschichten entfalteten sich. Von den Unfällen und abgeschleppten Autos, die ich in der Werkstatt Damke hörte, über die Stadtplanung von Braunschweig, die ich durch die Geräusche der Autos entdeckte, bis hin zur Zukunft der Autos im Jahr 2035 und den aktuellen Nachrichten über die Krise bei Volkswagen – all diese Aspekte sind miteinander verknüpft. Was könnte hier die Rolle der Kunst sein? Das Auto hat unzählige Fragen zur Erforschung aufgeworfen und ist damit ein äußerst faszinierendes Objekt. Ich spiele mit dem Gedanken, ein Symposium zu organisieren, um diese verschiedenen Geschichten an einem Ort zu diskutieren.

Viele Leute fragen mich, warum ich Autos zerlege und warum ich das Auto als Thema gewählt habe. Meine Antwort ist einfach: Weil ich jetzt in Braunschweig bin. Und ich glaube, ich werde Braunschweig nicht verlassen, bevor ich diese Arbeit abgeschlossen habe.


Das Interview führte Brigitte Kosch, Pressestelle der HBK Braunschweig

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